Die Tagung Zukunftswerkstatt Matri-Arche am 12. November 2016 im Tagungsraum des Museums am Löwentor zeigte mit ihren zahlreichen Referentinnen die vielen Facetten und Möglichkeiten, das Matriarchat in die heutige Zeit „auf die Welt“ zu bringen. Auch einige Männer waren mit dabei – natürlich (noch) unterrepräsentiert, aber mit großem Interesse.
Das Matriarchat hat eine sehr lange Geschichte und geht bis in das Neolithikum und die Bronzezeit zurück. Es ist dennoch nicht „so weit“ von uns entfernt, um es ganz zu vergessen, sondern um es erst recht wieder in Erinnerung zu rufen und den Gedanken neu und an die heutigen Begebenheiten angepasst, aufzugreifen. Zum einen gibt es die wissenschaftlichen Funde und „Beweise“, die entsprechende Literatur und Forschungsarbeit – und zum anderen gibt es aktuell über 20 real existierende matricharchale Kulturen, die auf der ganzen Welt verstreut liegen. Darum ist diese „alte“ Gesellschaftsform nichts „Altgebackenes“, sondern sucht sich heute seinen Weg in die neue Zeit im 21. Jahrhundert. Es ist sogar genau jetzt Zeit dazu, denn die alten patriarchalen Strukturen brechen auseinander und suchen nach anderen Lösungen, die besser und „gesünder“ funktionieren.
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Das Matriarchat hat hier vier gleichwertige Ansatzpunkte und Grundgedanken, mit denen es sich auseinandersetzt und welche sie tiefgreifend erforscht:
- Das Weltbild mit der Natur und seinen rhythmischen Abläufen als Vorbild
- Die Gesellschaftsform(en)
- Die Politik
- Die Wirtschaft/Ökonomie
Doch wie kann das gut funktionierende matriarchale System in das Heute übertragen und damit auch authentisch gelebt werden?
Das ist sicherlich die spannendste Frage nach dieser Tagung. Denn der durch die Vorträge der Referentinnen aufgezeigte Weg ist ja ein großer Hoffnungsschimmer: Ja, es ist möglich.
Einige Gedankenimpulse nun, um das Thema ganzheitlicher zu erfassen…
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Unser Nabel sagt schon alles: Hier waren wir mit der Mutter verbunden und wurden genährt. Ein Geburtsmal, was allen Menschen gleich ist. Allen! Was ist das typisch Weibliche und aus schöpferisches Sicht einzigartiges? Die menschliche Eizelle ist die größte Zelle, die ein Mensch herstellen kann. Und sie wird in der Frau hergestellt, geschöpft, kreeiert. Ein Moment, um mit dieser biologischen Tatsache inne zu halten..
Folgendes ist offensichtlich in unserer Gesellschaft: Das Fehler des Mutternamens, denn die Frauen und die Kinder übernehmen meistens den Namen des Mannes – es gleicht damit einer Umettikettierung mit der fatalen Folge, dass wir in Vereinzelung, Singlefamilien und/oder beliebigem Zusammenleben befinden.
Doch was ist die „heilige Ordnung“ im Leben (=Wortbedeutung von Hierarchie)? Die erste Ordnung ist die von Mutter und Kind. Logisch. Und die Frauen generieren mit der Geburt die Gesellschaft. Hier liegt die Sozialisierung zugrunde. Im Matriarchat brauchen die Frauen keinen Mann/Partner zur Versorgung, sondern nur für rein partnerschaftliche Beziehungen mit Erotik und Liebeskultur. Im Sozialsystem eines Matriarchats gibt es somit vertraute Menschen, die Urvertrauen schaffen. Die allerbeste Grundlage für das Leben. Das Kind erlebt im Mutterclan somit Qualität & auch Quantität. Aus biologischer Sicht ist das Männliche ist im Weiblichen Zuhause. Überträgt man das, zeigt sich, dass nicht die Frau zum Mann zieht – sondern allenfalls andersherum.
Das räumliche Entfernen des Mannes von der „Mutter“ fö(o)rdert im Grunde das Statusbestreben des Mannes (er baut etwas eigenes auf) – und führt im schlimmsten Falle (durch Burn-out, Wettbewerbsdenken…) zu einer Form von Gewaltentwicklung (oft leider gegen sich selbst). Werte von Mitgefühl werden bei Männern dagegen massiv unterdrückt. Schade.Traurig. Es darf anders gehen.
Wir schauen nach Mexiko:
In Juchitan in Mexiko gibt es eine starke matriarchale Kultur. Die Frauen sind über ihre Grenzen hinaus bekannt für ihren rebellischen Geist. Die Häflte der Männer geht in die Fabriken, die andere Hälfte betreibt die Landwirtschaft – doch die Frauen führen mit klarer Hand die Marktgeschäfte und den Warenhandel. Der erwirtschaftete Mehrwert wird angelegt. Das Marktleben spielt dabei eine sehr zentrale Rolle. Mit dem regionalen Markt entsteht ein Warenkreislauf ohne Geldanhäufung. Oft wird innerhalb sozialer Geflechte verkauft und natürlich auch verhandelt.
Das soziale Ansehen zeigt sich durch Freigiebigkeit und die reich gelebte Schenkökonomie. Einladungen und Geschenke fließen hin und her. Es ist dennoch kein Tauschgeschäft, weil sich das Schenken immer an den Bedürfnissen der anderen konzentriert. Es gibt keine Erwartung des Tausches. Schenken wird als Kreislauf gesehen. Es gibt dort Clanmütter – und Titel werden im Clan weitergegeben. Das Beste ist wohl die reiche Fest- und Ritualtradition mit 628 Feier-Anlässen im Jahr. Das Feiern stärkt dabei nicht nur den Gemeinschaftssinn. Es gibt eine hohe Wertschätzung gegenüber den Lebensmittel und der gemeinsamen, freudigen Herstellung von Essen und Trinken. Die politische Mitentscheidungen sind ebenso wichtig für die Frauen – wenn es auch oft weiblich-rebellisch zugeht. Doch die Freude am Leben überwiegt. Das ist deutlich zu spüren…
Ja, es ist möglich. Es funktioniert. Heute und jetzt in dieser einen Welt.
Doch die berechtigte Frage bleibt: Was sind dann die ersten Schritte in eine neue moderne matricharale Kulturepoche? Was zeigen denn heute die heutigen matriarchalen Kulturen noch weiteres Besonderes auf?
- Es gibt keine Aggressionen und keine gewaltdurchzogenen Konflikte.
- Es gibt dafür Konsenslösungen.
- Führungskräfte haben nur Pflichten und Aufgaben, aber kein Recht zur alleinigen Entscheidung.
- Es gibt somit keine Staats“gewalt“.
- Das Leben funktionert, weil alle füreinander da sind.
Vielleicht ist das der allererste Schritt.
Viele Streits und (Scheidungs-)Dramen drehen sich beispielsweise immer um das liebe Geld – die Versorgung, der LEBENS-Unterhalt. Auch bei modernen Dorfgemeinschaften sind die finanziellen Entscheidungen wohl die Schwierigsten.
Wie wir schon wissen: Das soziale Eingebundensein in einen „Clan“ und ein Gefüge mit Versorgung auf körperlicher, geistiger und seelischer Ebene stärkt die Menschen fürs Leben, und dass sie darin befreit und glücklich sind. Das ist die Basis schlechthin. Nicht die 3-Kopf-Familie mit Mama, Papa und Kind, sondern der mütterliche Clan, der die mütterliche Familie darin vereint. Übertragen auf heute sind dies wohl auch Patchwork- und Wahlfamilien (Friends & Family).
Eindrücke von der Fachtagung:
Wichtige Merkmale für eine neue Gesellschaftsform und für eine sofortige Umsetzung können also sein:
- Bildung stabiler, sozialer Gefüge (Gemeinschaften)
- der mütterliche Namen wird konsequent weitergegeben
- Konsensentscheidungen in den Gemeinschaften
- wertschätzende Kommunikation
- Schenkökonomie
- tiefe(re) Wertschätzung von Mutter Erde (Ökologie/Bioanbau)
- regionale Wirtschafts-Kreisläufe
Und damit auch:
- Wegfall von Besitz, auch von Grundstücksbesitz usw.
- Wegfall von Zinsgeschäften
- Wegfall von Identifizierung mit Eigentum und Besitz
- Wegfall von Staatsgewalten
- Wegfall von Gewalt und Aggressionen
ErLEBEN von:
- Eigenverantwortung
- Selbstermächtigung
- Gemeinschaftssinn
- Vertrauen
- Hingabe
- neuer Wertediskussion
- Feiern im Rhythmus der Natur
- einer reichhaltigen, natürlichen Liebes- und Erotikkultur
Somit ist offensichtlich: Es gibt JETZT schon klare Wegweiser ist eine sich neu zu formierende matriarcharale Struktur. Es fehlt vielleicht noch das globale oder einfach weit genug reichende Bewusstsein dafür. Doch der Grundstein ist gelegt. Durch die Arbeit und den Auftrag der Internationalen Akademie HAGIA gibt es heute viele Botschafterinnen, die es in die Welt hinaustragen!
Hier gibt es wirklich gute Literatur, die das Thema ausführlich von allen Seiten beleuchtet – und sich dadurch auch stark von der klassischen feministischen Literatur abgrenzt:
Literatur-Auswahl:
www.goettner-abendroth.de/publikationen/buecher.html
Besondere Empfehlung von Gabriele Kapp:
Heide Goetthner-Abendroth
Am Anfang die Mütter – – matriarchale Gesellschaft und Politik als Alternative
Ausgewählte Beiträge zur modernen Matriarchatsforschung
Verlag Kohlhammer, 2011
Heide Goetthner-Abendroth
Matriarchale Landschaftsmythologie
Von der Ostsee bis Süddeutschland
Verlag Kohlhammer, 2014
Weiterführende Links:
www.hagia.de/internationale-hagia-akademie.html
https://www.matriarchiv.ch
♥ dasgesundmagazin sagt Gabriele Kapp (Referentin für moderne Matriachatsforschung) ein herzliches Dankeschön für die Hinführung zum Thema!