Bewusst Nutzloses loslassen, sich zurückziehen und den Weg der Transformation gehen
Die zunehmende Dunkelheit und Kälte und der Übergang vom bunten Herbst zum trüben Nebelmonat November vollzieht sich langsam – und dennoch deutlich spürbar. Die Natur bietet uns immer noch faszinierende Bilder, wenn nach einem Nebelmorgen die Pflanzen mit Nachtfrost wie mit Puderzucker überzogen sind, plötzlich die Sonne durchscheint und dann die Herbstblätter goldig glänzen.
Es ist die Zeit, langsam loszulassen, was sich an Unnützem das Jahr über angesammelt hat – und im Loslassen das Wesentliche zu erkennen. So wie ein Baum nach dem Loslassen seiner Blätter in seiner filigranen, dennoch stabilen Essenz stehenbleibt. Auch unsere Verstorbenen müssen wir im gewissen Sinne loslassen – darum ist jetzt auch die Zeit der Erinnerung an die Ahnen.
Heute haben die Herbstmonate und die Dunkelheit für viele Menschen etwas Beängstigendes – so sehr, dass viele es kaum erwarten können, in die oft kitschige „Dekorations- und Glitzerphase“ der Vorweihnachtszeit einzutauchen – als ob es Samhain und den Dunkelmond gar nicht geben würde. Doch wir alle dürfen diesen Entwicklungsschritt (Stichwort: Schattenarbeit) durchleben – erst dann können wir uns öffnen für das Licht.
Die Natur zeigt uns den Weg. Sie ist so weise und immer selbstlos unterstützend.
Erkennen wir dies?
Die Sonnenkraft genießt man nun in den Äpfeln, im Wein, im Most, in den Kräutern, im Holundersaft oder in der Marmelade: Die Kraft hat sich gewandelt! Die Natur erholt sich durch den Rückzug der Kräfte in das Erdreich, durch die Rückbindung zur Mutter Erde. Der Rückzug zu den Wurzeln ist wie der Rückzug zu den Ahnen, die uns die notwendige Kraft schenken können. Wir brauchen keine Angst zu haben, wenn wir uns zurückziehen. Denn an den Bäumen sind jetzt schon die Knospen fürs Frühjahr sichtbar! Wie schön ist hier die Rückbesinnung an das bekannte Gedicht von Hilde Domin, das ich in diesem Zusammenhang gerne zitiere: „Es knospt unter den Blättern – das nennen sie Herbst“.
Samhain ist das keltische Neujahrsfest zu Neumond (= Dunkelmond) – oder das Sommerende in der Übersetzung. Wenn wir das hierzulande bekannte Wort „Halloween“ nehmen, erkennen wir im Englischen „hallow“, also heilig oder geheiligt. Hier öffnen sie die Türen zur Anderswelt. Es ist ein Fest der Freude, des Überflusses, üppig und ausgelassen für Körper, Geist und Seele und auch orgiastisch im Sinne vom Essen und Trinken (Bei Beltane – dem gegenüberliegenden Fest im Jahreskreis – geht es ja konkret um Sexualität und Fruchtbarkeit und um die Kraft der Hexe – der Zaunreiterin). Es ist wie ein letztes Mal den Genuss in einer Weise zu erleben, bevor die Natur uns immer stärker zum Rückzug und zur Enthaltsamkeit zwingt (Nahrungsvorräte müssen eingeteilt werden, dass sie bis zum Frühling reichen). Es geht dabei aber auch um die Stärkung der Verbundenheit innerhalb der Sippe.
Der Ahnenkult war etwas Positives – heute ist das Halloween-Fest gruselig mit Geisterkostümen und ohne Sinnhaftigkeit – und letztlich auch mit den Ur-Ängsten vor dem Tod besetzt. In der christlichen Tradition ging ein wesentlicher Teil des Ahnenkultes und des Umgangs mit dem Tod verloren. Der Ahnenkult wird heute und hierzulande anders gefeiert, eher traurig und trüb wie der Novembernebel und mit Lichtern auf den Friedhöfen – früher übrigens mit einer ausgehöhlten Steckrübe. Es ist davon der allseits bekannte Kürbis übriggeblieben, der allerdings auf kaum einem Friedhof zu finden ist.
Ja! Die Ahnen wurden auf fröhliche Weise geehrt und ganz selbstverständlich zur Lebenshilfe gefragt, denn sie waren ja schon „erfahrener“.
In der Astrologie sind wir nun im Tierkreiszeichen Skorpion – ein Wasserzeichen mit Pluto als Planetenherrscher – angekommen. Das Motto heißt: „Stirb und werde“! Es gilt also, die Energie komplett nach innen zu richten. Betrifft uns selbst der Planet Pluto, wenn er in unserem Zeichen zu Besuch ist, dann geht es um radikale und grundlegende Veränderungsprozesse. Alles Überflüssige muss sterben und nur der Kern bleibt übrig. Wichtig dabei ist zu erkennen, dass geistige Erkenntnisse unsterblich sind!
Wir können uns also fragen, wie viele Tode wir im Leben schon durchlebt haben? Das Ende der Kindheit, der Pubertät, Trennung, Scheidung, Berufswechsel, körperliche Beeinträchtigungen oder auch „der kleine Tod“ im Orgasmus, der nur im völligen Loslassen möglich ist.
Lerne nun tiefgehend Abschied zu nehmen, loszulassen, damit du Kraft gewinnst für das kommende, neue Jahr. Darum wurde das Fest auch zum Neumond gefeiert.
Die Göttinnen dieser Zeit sind zum Beispiel die altnordische Göttin Hel, die indische Göttin Kali oder die keltische Göttin Ceridween. Die Göttin in ihrem schwarzen Aspekt zieht sich in ihr unterirdisches Reich zurück. Sie waltet dort über die Samen und Seelen. Es sind die Göttinnen des Todes, der Unterwelt, die weisen Alten, der Zauberin und der Magierin. Sie lehren uns, dass Leben niemals ohne Tod sein kann, dass alles stirbt, um neu zu werden. Es ist ein ewiger Kreislauf. Es geht nichts verloren. Es wird nur transformiert. Es gibt kein endgültiges Ende. Unsere Essenz bleibt erhalten.
Hel ist die Herrscherin der Schattenwelt unter der Erde – sie ist die „Zudeckende“. Sie lebt in der Höhle der Wiedergeburt unter dem Weltenbaum Yggdrasil – der Eibe.
Kali ist die schwarze Mutter der Zeit, die das Leben unaufhörlich in einen Tanz des Todes verwandelt. Kali ist wild und leidenschaftlich, wütend und zerstörerisch und konfrontiert uns mit unseren tiefsten Ängsten. Sie fordert auf, wild zu sein, zu seufzen, zu trauern! Wer sich Kali stellt und sie versteht, der wird von ihr Trost erhalten. Kali schiebt und schubst dich vorwärts, heraus aus deiner Bequemlichkeit, damit sich dein ganzes Potenzial entfaltet.
Die Botschaft von Ceridween lautet:
Wenn du gerade an einer Wegkreuzung in deinem Leben angekommen bist und nicht weißt, wie du dich entscheiden sollst, dann komme zu mir. Wir zünden ein Feuer an, stellen einen Topf mit Wasser darauf und gehen Kräuter sammeln. Folge dabei deiner Intuition und nimm nur die Kräuter, die dich „angucken“. Nimm von jeder Pflanze einen kleinen Teil, auch ein Stückchen vom Holz der Erle, und lasse sie zusammen mit deinen Sorgen in diesem Topf brutzeln.
Wir setzen uns dazu, lauschen dem Feuer und rühren unser Gebräu um. Langsam und stetig. In diesem Rühren, in diesem nie enden wollenden Wirbel, wird alles vermischt. Das Alte löst sich auf, das Neue entsteht. Rühre und spüre, rühre und spüre – die Ruhe, die Stille, das Alte, das Neue und die ewige Wiederkehr. Hast du schon daran gedacht, dass es keine falsche Entscheidung gibt? Das alles im Leben nur dazu dient, Erfahrungen zu sammeln? In jedem Moment deines Lebens kannst du dich immer wieder neu entscheiden. Alles, was du dazu brauchst, ist Mut. Mut, das aufzugeben, was nicht zu dir gehört, um endlich das zu leben, wovon du schon immer geträumt hast. Drei Tropfen von unserem Zaubertrank genügen.
(Aus dem Buch „Pflanzengöttinnen und ihre Heilkräuter“ von Ursula Stumpf, NEUAUFLAGE bei Kosmos!)
Der Körper sehnt sich nun nach immer mehr Ruhe und Stille, und jedes Aufstehen in der Dunkelheit fällt doch unendlich schwer. Unsere moderne Zeit zwingt uns, gegen den Rhythmus der Natur und der Gestirne zu leben. Wir dürfen nicht erst beim natürlichen Aufgehen der Sonne aufstehen, und wir verbringen noch sehr viel Zeit am Abend bei künstlichem Licht. Aber vielleicht gelingt es uns, doch mehr Zeit für uns selbst und unsere Gefühlswelt zu erhaschen.
Was ist wichtig in dieser Zeit?
Sich zu fragen, wie achtsam bin ich mit meinem Körper, und wie achtsam bin ich mit meiner Seele und mit meinen innersten Bedürfnissen?
Wer achtsam lebt, beachtet sich selbst, also achtet sich selbst.
Was bewegt mich innerlich?
Welcher Weg wird aus dieser inneren Bewegung?
Wenn meine Gefühle zum Ausdruck kommen, dann lebe ich immer mehr, wie ich wirklich bin.
Gefühle sind der Motor im Leben. Gefühle erfüllen unsere echten Wünsche.
Räucherungen mit Wacholder, Thymian, Salbei, Rosmarin oder Lavendel bringen uns die Sonne ins Haus und in unsere Seele. Sie stärken unser Immunsystem und wirken anti-depressiv. Wir schließen die Augen und fühlen uns dabei wie in einem Kurzurlaub. Und können dann ganz in unseren Gefühlen aufgehen. Wir schaffen uns zu Hause einen Wohlfühl-Raum, der zum täglichen Rückzug einlädt.
Loslassen
Rückzug
Transformation
Ich ging zu einem Spaziergang hinaus und beschloss schließlich, bis Sonnenuntergang draußen zu bleiben. Hinausgehen, so fand ich heraus, bedeutet eigentlich hineinzugehen.
(c) John Muir
© Birgit Matz
© Titelbild: Piaxbay: Danke!
Quellen:
Ursula Stumpf: „Pflanzengöttinnen und ihre Heilkräuter“, Verlag Kosmos
Martina Kaiser: “ Der Jahreskreis“, Verlag AURUM
Ziriah Voigt: „Ritual und Tanz im Jahreskreis“, Verlag IRDANA